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9. April 2024

KiWi Forum 2024: Arbeitswelt im Wandel - Eine Frage der Demographie?


Der Fall ist klar: es fehlt an jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Während die Babyboomer in Rente gehen, betritt die Generation Z die Arbeitswelt. Dabei entsteht ein Mismatch bei der Zahl der Köpfe, aber auch der Arbeitsansprüche – verschiedene Werte treffen aufeinander.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger denn je, einander zuzuhören und verschiedenen Perspektiven Raum zu geben. Diesem Ziel hat sich die Dialoginitiative der Kieswirtschaft KiWi Oberrhein verschrieben. Sie lud am 9. April zum KiWi Forum nach Karlsruhe ins Tollhaus. Rund 120 Menschen kamen, um den Fachvorträgen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zu lauschen und sich auszutauschen. Es gibt Lösungen: Die Generationen müssen aufeinander zugehen und flexibel sein, um die demographischen Herausforderungen zu meistern.

Der Sozialisationsrucksack – was prägt eine Generation?

Die ersten 20 Lebensjahre eines Menschen sind besonders prägend. In der Sozialforschung nenne man das Sozialisationszeit, erklärte Professorin Dr. Jutta Rump. „Sie haben Ihr ganzes Leben diesen Rucksack auf dem Rücken“ – Generationen vergleichen bedeute anzuschauen, wie dieser Sozialisationsrucksack gepackt ist, so die Personalmanagementexpertin von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen.

Immerwährende Diskussionskultur und endlose Möglichkeiten
Wer also verstehen will, wie eine Generation arbeitet, müsse sich diese prägende Jugendzeit anschauen. Die Babyboomer sollten sich nicht wundern, dass ihre Kinder sich eine sozialkompetente Führung wünschten – sie hätten sie schließlich anti-autoritär erzogen: „wir haben doch die letzten Jahrzehnte genau diesen partizipativen, kooperativen Führungsstil in der Familie praktiziert“. Die Soziodemographie spiele ebenfalls eine Rolle: mehr als die Hälfte der Generation Z kämen aus Einzelkindfamilien und seien im Wohlstand der „ökonomischen Party der 2010er“ aufgewachsen. Diese Faktoren hätten zu einem „Klima multioptionaler Möglichkeiten“ geführt. Dennoch erlebten Sicherheit und Gewissheit neuen Aufschwung angesichts einer immer komplexen, schnelllebigen Welt.

Spaß, Sinn und Perspektive
Während die Babyboomer Fleiß, Pflicht und Disziplin verinnerlicht hätten, wären auch die Jungen durchaus leistungsbereit – solange es Spaß mache und sie Sinn und Perspektiven sähen. Zudem hätte die junge Generation Zeit als neue Währung entdeckt: „Wenn ich an den Leistungsdiamanten der jungen Generation will, muss ich das respektieren und Zeitsouveränität zulassen.“
Genau an diesem Punkt finde gesellschaftlicher Wandel statt. Auch die Älteren könnten davon profitieren: „Wir sagen, so blöd ist das eigentlich nicht – aber die Jüngeren fordern es ein“. In Folge des demographischen Wandels hätten die Jungen als knappes Gut hier die Verhandlungsmacht.

Personalmanagement ist Generationenmanagement
Für das Personalmanagement bedeute das, die Differenzen im Team gut auszubalancieren. „Es geht darum, die Perspektive der anderen zu verstehen, um so Vorurteilen vorzubeugen“, betonte Rump. Bei all dem sei es jedoch entscheidend, zu differenzieren. Verhandeln könnten nur diejenigen Jungen, die den Schulabschluss geschafft und eine Ausbildung haben. Bei 12,5% sei das nicht der Fall. Diese Systemverlierer würden frustriert, resigniert und schließlich polarisiert.

„Meine Generation hat keine Probleme, sie ist das Problem“

Im Kontext dieser Polarisierung ist es umso wichtiger, Statistiken richtig zu interpretieren. Dass dabei erstaunliche neue Perspektiven entstehen können, zeigte Professor Dr. Bernd Raffelhüschen, indem er die Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Immobilienmarkt beleuchtete.
Der Finanzwissenschaftler an der Universität Freiburg betonte die Rolle der Soziodemographie, wie zum Beispiel das Älterwerden von Frauen im Vergleich zu Männern oder Veränderungen in Haushaltsstrukturen. Trotz einer abnehmenden Gesamtbevölkerung steige die Immobiliennachfrage aufgrund des Trends zu kleineren Haushalten und größeren Wohnflächen stetig an.

Die Preise sind nicht das Problem
„In der Statistik messen wir Preise in Zeit - also wie lange muss ein Mensch in Deutschland im Durchschnitt arbeiten, um sich gewisse Dinge leisten zu können“, erklärte der Finanzwissenschaftler. Die Statistik zeigt, dass wir heute im Vergleich zu früher einen geringeren Anteil unseres Einkommens für Wohnen und Nahrungsmittel ausgeben. So gesehen gebe es eigentlich keinen Grund sich zu beklagen. Das Problem sei, dass der Wohnungsbau katastrophal hinterherhinke, so Raffelhüschen. Vielleicht sollte sich die Boomergeneration also weniger beklagen und lieber zum Teil der Lösung werden.

Mut zum Bürokratieabbau

Wie genau das gelingen kann, zeigte Landrat Frank Scherer. Als oberster Verwalter des Ortenaukreises ist er ein Boomer-Vertreter in Führungsposition. Die Krisen und der Fachkräftemangel in seinem Kreis sind wie überall groß. Sein Lösungsansatz ist so radikal wie simpel: „Wenn Sie wirklich Bürokratie abbauen wollen, dürfen Sie nicht die Verwaltung fragen. Sie müssen den Spieß umdrehen und ihnen die Vorschriften wegnehmen“. So entledigte sich Scherer 90% der internen Verwaltungsvorschriften in seinem Hause, indem er seine Mitarbeitenden anhielt, diejenigen Vorschriften zu melden, die sie tatsächlich im Alltag bräuchten. Der Landrat betonte jedoch, dass sein Einflussbereich im föderalen System begrenzt sei und Strukturreformen und Bürokratieabbau auf allen Ebenen erforderlich seien. „Leider ist nicht erkennbar, dass irgendwer das wirklich mutig anpackt“, stellte er fest.

Flexibilität und Augenhöhe als Erfolgsmodell

Dass flexible Arbeitszeiten sich durchaus lohnen können, verdeutlichten die Erfahrungen von Alfred Keller. Sein Handwerksbetrieb, ein Familienunternehmen im Sanitär- und Heizungsbau aus Überlingen, bietet den Mitarbeitenden eine 4-Tage-Woche an – ein Konzept, das nicht zuletzt durch Anregung seiner GenZ-Tochter Lara Keller zustande kam.

Das Team mit einbeziehen
Die Kellers entwickelten gemeinsam mit ihren Mitarbeitern ein flexibles Arbeitszeitmodell und integrierten sie von Anfang an in den Prozess. Dabei blieb die Option einer 5-Tage-Woche auf Wunsch bestehen. „Mit allen wird individuell geklärt, nach welchem Modell sie arbeiten möchten“, erklärte Lara Keller, die den Umstellungsprozess im Unternehmen leitete. Spaß, Sinn und Perspektiven seien schon längst Alltag bei Alfred Keller GmbH. „Wir fragen uns immer wieder, wie wir junge Menschen begeistern können. Deshalb haben wir diese Idee ausprobiert“, verriet Alfred Keller.

Attraktivität zahlt sich aus
Das Konzept gehe auf: Eine gute Planung und Optimierung seien entscheidend, um die Arbeitszeit auszugleichen. Der Effekt? Weniger Krankheitstage, höhere Motivation, gesteigerter Umsatz, begeisterte Endkunden. „Wir als Arbeitgeber müssen Attraktivität schaffen, kriegen das aber auch zurück“. Man müsse jung wie alt an die Hand nehmen und auf Augenhöhe kommunizieren, „dann kommen die Menschen auch ins Handwerk und wollen was bewegen“. Am Ende käme es vor allem darauf an, flexible Arbeitszeitmodelle einfach mal auszuprobieren, wie ein Kollege der Kellers aus dem Publikum kommentierte: „wir waren auch skeptisch – tut es, es funktioniert!“

Stärken und Talente fördern

Die junge Generation ist also keineswegs leistungsunwillig. Laut Jutta Rump ist die Identifikation mit der Arbeit bei GenZ die höchste, die je gemessen wurde: „Wenn die Arbeit den Stärken und Talenten entspricht, dann vergisst man auch die Zeit“. Menschen besser nach ihren Talenten einzusetzen könne einen Beitrag dazu leisten, die Produktivitätslücke des demographischen Wandels zu schließen. Das Bildungssystem stehe hier in der Verantwortung, den Fokus mehr auf Stärken zu setzen, so Rump.
Für Lara Keller war klar: „Wenn ich mit Verantwortung betraut werde, dann kommt auch die Motivation.“ Dabei müssten ältere Generationen lernen loszulassen und gleichzeitig im Hintergrund unterstützend zur Seite stehen, betonte Alfred Keller. 
Zum jetzigen Zeitpunkt könnten wir nur durch offene Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis sicherstellen, dass der Wandel in der Arbeitswelt für alle Beteiligten zum Gewinn werde, wie Thomas Peter, Vorsitzender von KiWi Oberrhein, feststellte. Denn eins ist klar, wusste Moderator Søren Eiko Mielke: die Kieswirtschaft wird weiterhin gebraucht, jeder Mensch benötigt im Schnitt ein Kilogramm Steine pro Stunde.

Terminhinweis: Das KiWi Forum 2025 findet am 8. April 2025 im Europapark in Rust statt. Zu Gast sein wird unter anderem Extremsportler Jonas Deichmann.